Als Silke vom Blog www.inlautertrauer.de andere BloggerInnen zum Thema aufrief:
Alle reden über Trauer – Ein Tag, viele Blogger, viele verschiedene Facetten von Trauer http://in-lauter-trauer.de/alle-reden-ueber-trauer-2017 mit beizutragen, habe ich lange nachdenken müssen und kam zu folgender Erkenntnis, das man Trauer kulturell erlernt, nur in meinem Fall sah das ein bisschen anders aus.
Trauern wird erlernt
Ob Frauen sich in lauter Trauer wie im Orient auf der Straße zusammenfinden und klagen und sich auf den Boden werfen, oder ob wir im westlichen Teil in den vergangenen Jahrhunderten Spiegel verhängten, die Uhren anhielten, oder uns dem christlichen Leitfaden der Bestattung hingaben.
Ich habe all dies nicht gelernt – ich bin bis heute unvorbereitet. Es fehlte der festgefügte Rahmen einer intakten Familie, mit Bräuchen und Erklärungen.
Das erste Mal begegnete mir der Tod bei der Beerdigung meiner Tante Clara, die ich nicht mochte und selten sah. Meine große Schwester hatte mich an der Hand genommen, und vielleicht auch auf Anweisung meiner Mutter standen wir bei der Beerdigung ganz hinten. In meiner Erinnerung finde ich ein Bild einer Mauer aus den Rücken in Wintermänteln, die den Blick auf alles versperrten.
Das zweite Mal, ich war jetzt 18 Jahre alt, rief mich eine Freundin an, um mir mitzuteilen, dass meine damals enge Freundin Babs bei einem Motorradunfall ums Leben gekommen ist. Mittlerweile lebte ich schon ein Jahr in einer anderen Stadt, und der Kontakt hatte sich nicht so gehalten wie ich gern wollte. Ich war unendlich traurig, aber ich bin nicht in den Zug gestiegen und nicht zu ihrem Grab gegangen. Ich wollte das nicht, wollte nicht den Namen auf dem Grabstein lesen.
In meinem ganzen Leben war ich nun auf 5 Beerdigungen, und bei jedem Mal empfand ich mich ein bisschen wie eine, die auszog, das Trauern zu lernen. Mein einziger Halt war oft die Empathie mit denen, die einen geliebten Menschen verloren hatten.
So war ich z. Bsp. hilflos, als ich von einer Freundin gebeten wurde zur Beerdigung ihrer geliebten Mutter zu kommen. Ich tat es für sie, aber natürlich empfand ich keine Trauer, ich schaute oft auf das blasse Gesicht meiner Freundin und sie tat mir unendlich leid. Trotzdem war ich nervös, denn ich versuchte dem peinlichen Gefühl zu entkommen, als ich sah, dass alle ein Blume in der Hand hatten. Es war zu spät, um noch eine zu kaufen, und verunsichert versuchte ich herauszufinden, wie ich mich denn nun konform zu verhalten hätte, um nicht den Schmerz meiner Freundin zu vergrößern. Sollte ich jetzt die Erde auf den Sarg werfen? Warum macht man das eigentlich? Dürfen nur die engen Freunde und entfernt Verwandte den engsten Familienangehörigen die Hand geben, sollte man da nicht Rücksicht üben, weil es sonst Ihnen evtl. zuviel wird?
Es vergingen Jahre, ich pflegte mit meinem Mann meine durchaus herausfordernde Schwiegermutter Hannelore, und als sie starb, machte sich in mir – ich muss es so zugeben – auch Erleichterung breit. Natürlich habe ich mich oft und lange mit meinem Mann darüber unterhalten, ob ich mich jetzt vor mir selbst schämen muss, der dies jedoch stets verständnisvoll verneinte. Doch nun war ich unmittelbar mit allem befasst, was mit ihrem Tod zu tun hatte: Bestatter, Kleider, Grabstein mit Inschrift ergänzen – ich machte meine ersten Erfahrungen mit 51 Jahren. Ich rief Freunde an, weil ich nicht wusste, was angemessen ist, wenn nach der Beerdigung alle zusammenkommen und essen und trinken. Was essen? Was trinken? Das was aus mir selbst kam, war, dass ich ein kleines Heft mit 8 Seiten drucken ließ, mit den Bildern und der Biografie von Hannelore, für all die weitgereisten alten Freunde, die nur einen Teil des Lebens mitbekommen hatten. Das Feedback hat damals den Grundstein für die Kleine Chronik gelegt.
Als meine Schwester 3 Jahre später starb, war ich aus vielen Gründen fassungslos. Unser Verhältnis war nicht eng geschwisterlich. Wir gratulierten uns zum Geburtstag, manchmal schrieb ich einige Zeilen, und doch, sie war meine große Schwester und natürlich war nicht immer alles schlecht. Sie war ein sehr sensibler Mensch, der unvermittelt dicht zuklappen und sich wie eine Auster verschließen konnte. Das Schimmern der Perle sah man dann nicht mehr, denn sie war intelligent, gebildet, künstlerisch enorm begabt, gleichzeitig tough – und, sie hatte ein schönes Lachen.
Wir lebten 300 km entfernt voneinander, einer ihrer Söhne wohnt jedoch nur eine halbe Autostunde von uns. Ich konnte meine Gefühle etwas schwer sortieren, als ich hörte, dass sie 2 Monate im Nachbarort im Hospiz gelegen hatte, um in der Nähe ihres Sohnes und ihrer Enkel zu sein. Meine Neffen hatten den Willen der Mutter respektiert und weder mich noch meinen Bruder informiert. Ein klärendes Gespräch, ein liebevoller Abschied, das hat sie nicht gewollt und im ersten Impuls dachte ich, dass sie strafen wollte. Heute sehe ich das anders. Alles hatte sie vorbereitet, auch ein Lied, welches sie als letzten Gruß an uns richten wollte. „Dust in the wind“. Obwohl keine 500 m weiter Baumaschinen lärmten, war es verboten, für diesen kleinen intimen Moment den CD-Player in einem Friedwald anzuwerfen. Wie imponierte mir die Haltung ihres jüngsten Sohnes, der tapfer jede einzelne Zeile vorlas, stets mit den Tränen kämpfend. Mein Bruder und ich trösteten uns gegenseitig, als ihre kleine Urne im Waldboden versank.
In der Zwischenzeit kommen mit zunehmenden Alter auch mehr Beerdigungen, ich habe mich in das Thema eingelesen und stelle fest – die Verstorbenen sind nicht „weg“, da die Erinnerungen bleiben.
Leben, Liebe und Lachen
Übrigens, ich verabschiede mich jeden Abend von meinem Mann mit den Worten: „Wir sehen uns dann morgen“, denn meine Angst ihn zu verlieren, spüre ich bewusst jeden Tag. Mein Leben an seiner Seite ist ein reiches und glückliches und ich bin dankbar für jeden Tag. In einem unserer Gespräche, die meist von einem heiteren Grundton begleitet werden, haben wir gemeinsam beschlossen, dass wir ewig leben und das Sterben einfach ablehnen. 🙂
Liebe Petra,
danke für die offenen Worte. Dein Weg die Trauer zu finden, wurde zum Erinnern an die Toten.
Ich freue mich sehr Dich zu kennen und gemeinsam mit Dir Stärken auszuloten.
Deine Margarete
Ich danke Dir! 🙂
Ich denke eine Bestattung darf man nicht mit Blick auf die Vergangenheit begehen, mit dem Blick zurück auf das, was alles hätte besser laufen können, sondern mit Blick auf die Zukunft, und auf das, was nicht mehr sein wird.